Hör uf brüele

Hör uf brüele.

Diesen Satz höre ich in Sachen Kindererziehung nicht selten. Meistens sogar ziemlich oft.

Es kommt mir in letzter Zeit so vor, als hätten wir Erwachsenen Zuhause alle den gleichen Satz eingeimpft bekommen, und zwar mit der Muttermilch. Und ich frage mich zurzeit, warum das so ist.

Mir selbst kommt er in mühsamen Momenten mit den Kids öfters über die Lippen.
Am Kochherd, auf dem Spielplatz, im Coop.
Am Morgen, am Mittag, am Abend, auch schon in der Nacht.
Immer dann wenn es Streit gibt und einer der beiden Dickköpfe vom anderen Schläge kassiert.
Oder ich fälschlicherweise die Minions-Tasse von meinen Sohn für meinen Morgenkaffee missbraucht habe. Oder das Knie nach einer Velokarambolage blutet.


Oder wie letzte Woche im Hallenbad, als der Herzli Ohrenstecker meiner Tochter nach dem 3-Metersprung plötzlich nicht mehr am Ohrenzipfel hing. Wie ich dann minutenlang mit einer laut (aber jetzt wirklich laut schreienden Tochter auf dem Schoss) im sehr lauten Hallenbad da sass, sich alle Blicke an uns hefteten, und ich die dicken Krokodilstränen meiner Tochter nicht mehr stoppen konnte.

Muesch ned brüele. Pssscht.

Und dann, als es nicht wirkte, flüsterte ich ihr ins Ohr:
kannst du nicht wenigstens ein bisschen leiser brüele....
Keine Chance.
Ich merkte, so sinnlos es ist, einem tropfenden Wasserhahn zu befehlen, nicht mehr zu tropfen, so unsinnig ist es ihr hier zu befehlen, mit dem Weinen aufzuhören.
Also lasse ich den Tränenwasserfall über mich ergehen.

Ich sitze also mit dem weinenden Kind am Hallenbad Beckenrand. Die Gedanken kreisen.

Ein unreflektierter Satz der immer wieder im Alltag auftaucht. Hör uf brüele. Warum sage ich es eigentlich, wenn es doch nüt nützt.
Ähnlich wie ein Passagier ohne Passagierschein. Ein Urgetüm der eigenen Erziehung? Unreflektiertes Werkzeug um besser mit der Situation klar zu kommen.

Könnte es also sein, dass ich diesen Satz immer wieder sage, weil...
... ich keine Weicheier als Kinder heranziehen will und DAS SOLLEN GEFÄLLIGST ALLE MERKEN----------Höööör also endlich uf brüele.
...  Weil ich ja am Mittagessen kochen bin und die Plätzli sonst anbrennen würden. Für das Weinen habe ich nun wirklich keine Zeit.
Hör uf brüele.
... ich von anderen Leuten nicht als Gluggere angesehen werden will, die ihr Kind verwöhnt. Oh nei. mir sind hert und griffed dure.
Hööör uf brüele.
... ich mir beim besten Willen für diesen Schmarrn kein Verständnis aufbringen kann, sei es jetzt auch nur wegen einem weggeworfenem verrissenen Papierschnipsel mit einem Hauch Glitzer drauf.
Also, hör jetzt endlich uf brüele.
Oder wie gerade jetzt im Hallenbad. Weil der vermisste Ohrenstecker sowie nicht wirklich wertvoll war. Hübscher Billigschmuck. Was solls. Kaufen wir halt neue.
Also sag ich das so meiner Tochter. Wir kaufen neue. Hör jetzt uf brüele. Und was macht sie?
Weint weiter, lauter, stärker.



Ich überlege hin und her.
Erst als ich mir die viel zu kleine Kindertaucherbrille montiere und beim Schwimmbecken herum schwadere, dabei immer wieder luftschnappend auftauche, wedelnd die Kinder abhalte vom Sprungbrett mir auf den Kopf zu springen, nur, und mich dann wieder dem Beckengrund zuzuwenden, stoppen bei ihr die Tränen.
Selbst, als Mami am Schluss beinahe fast an einer Überdosis Chlorwasser absäuft, und erfolglos aufgibt, haltet sie die Tränen zurück.

Ich habe die Tränen zum Versiegen gebracht. Aber nicht durch diese drei elenden Worte.
Also könnte man in Zukunft hier eine Wortschatzstreichung vornehmen.
Stattdessen, wie wär es damit:
Du bist traurig. Komm, du darfst traurig sein. Danach suchen wir gemeinsam den Ohrenstecker.





Übrigens: den Ohrenstecker haben wir später Zuhause auf dem Grund der Matratze im Bett gefunden.





Kommentare

Lieblingsposts