Betty Bossi in Afghanistan

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Küchenhilfe habe ich nicht oft. Meistens muss ich meine Familie zur Mitarbeit zwingen.
Doch heute ist Sonntag und es ist ein Glückstag für mich. Da kochen nämlich sogar die Gäste.
Meine zwei fleissigen Helfer sind männlich, muskelbepackt und kommen aus Afghanistan. Sie stehen gerade mit dem Rücken zu mir vor den dampfenden Kochtöpfen und diskutieren über die Grösse der Zwiebelstücke die sie soeben hacken.

Für heute war ich nicht vorbereitet auf Besuch und darum muss etwas Schnelles her. Da gibt es nur eines: Spaghetti Bolognese. Die mache ich so gut wie fast niemand sonst auf dieser Welt. Vielleicht kann ich damit punkten.

Ich giesse etwas Öl in die Pfanne. "Nur so wenig, Eva", meinen sie und können es kaum fassen. "Ja, Öl ist Fett und zuviel ist nicht gesund" belehre ich sie. Ich hebe die gehackten Zwiebel rein und das Fleisch hinterher. Es wird gerührt und gebraten. Oh, es beginnt gut zu riechen. Aber etwas fehlt. Da gehört natürlich ein Schuss Rotwein rein. Ich nehme die Flasche und giesse einen Deziliter Wein dazu. Wortloses Kopfschütteln. Für sie gehört da nicht Wein rein. Aber naja, das ist eben Chefsache und wenn ich sage, da kommt Wein rein und weniger Öl, dann muss es so sein. Als Beweis halte ich ihnen das Betty Bossi Rezept vor die Nase. Sie akzeptieren und nicken und ich verstehe: In Afghanistan gibt es keine imaginäre Tante Pussi Bossi.

Wir kochen zu dritt und philosophieren über das Essen und ich wasche neben zu den Salat. Irgendwie ist alles recht entspannt. Wäre da nicht mein Sohn der ein saumässiges Theater ablässt. Er ist geladen wie ein Duracell Häschen und findet es mordslustig uns nachzuäffen. Er wirbelt durch die Wohnung, hin und her, Out of control, und hat sich bereits ein neues grausames Spiel herausgesucht. Er attackiert Papa, der gerade den Tisch deckt, mit Schlägen.

"Du Eva,", meint einer der beiden afghanischen Freunde, "schlagt ihr eure Kinder nie?".
"Nein, eigentlich nicht. Ist aber leider auch schon mal vorgekommen, warum fragst du?"
Ich spüre innerlich wie ich unsicheren Boden betrete.
"In Afghanistan, alle Kinder werden geschlagen. Auch ich. Immer, jeden Tag."
"Das finde ich überhaupt nicht gut und das macht mich traurig, dass du das erleben musstest," erwidere ich und werfe den Salat in die Salatschleuder.

"Weisst du," erkläre ich, "wir finden, dass es auch ohne schlagen gehen muss. Und dass Kinder ohne Angst vor den Erwachsenen aufwachsen sollten." Ich ziehe an der Salatschleuder.
In dem Moment zwickt mich der kleine Frechdachs ins Bein und springt laut lachend davon. Aua. Jetzt reichts. Ich wirble herum und hechte meinem Sohn hinterher, fasse ihn an den Armen und bücke mich hautnah vor sein Gesicht: "Höörrrr jetzt auffff". Der kleine Mann wirft sich lachend auf den Boden und tritt mich mit Füssen. Das gäbe es in Afghanistan sicher nicht.
Ich spüre wie mir die Röte ins Gesicht stösst.


Ich seufze und rede laut und deutlich Klartext, so wie ich es in solchen Momenten immer tue, da ich kein anderes Rezept gegen diese Unart weiss: "Entweder, du hörst auf uns zu ärgern und machst etwas für dich bis zum Mittagessen, ansonsten habe ich eine Beschäftigung für dich. Was willst du?" Ich lasse ihm die Wahl, das wirkt meistens.
Ich merke, dass ich und meine Sohn auf einer Bühne stehen und ein reifes Theater abliefern. Armverschränkt stehen die zwei grossen Afghanis um uns herum und blicken dem Schauspiel amüsiert zu. "Lass mich los, Mami", quengelt der Kleine und drückt sich davon. Die beiden Männer schauen mich irritiert  an. "Eva, ich habe eine Frage: Was machst du wenn ein Kind nicht macht was du willst?" 
Ich druckse etwas herum. Wie soll ich das nun erklären ohne als "schwache" Mutter dazustehen. 
"Ja, dann muss das Kind die Konsequenzen spüren." Ich versuche auf Deutsch zu umschrieben was ich meine. "Konsequenzen" gehört ja nicht gerade in den Wortschatz deutscher Alltagssprache. Ratlose Gesichter.  Es gelingt mir mässig gut.
Ich sage ihnen, dass Erziehung etwas ist was man nicht gelernt hat, sondern lernen muss wie Autofahren, oder kochen. 
Sie nicken beide. "Ja, wir lernen aber nur von unseren Eltern." Ich finde das Gespräch langsam spannend. Ich füge dazu: "Wenn man Kinder schlägt, nützt man aus, dass man ihnen körperlich überlegen ist. Das macht Kinder hilflos und gefühlsmässig klein." Nun blicke ich aber interessanterweise in zwei zustimmende Gesichter. Sie nicken beide. "Stimmt. Schlagen ist schlecht. Einverstanden." Ich probiere die Sauce. Für mich gut. Für sie zuwenig Salz. Also gebe ich nochmals etwas Salz dazu.
Einer nimmt den Faden auf: "Aber, ich finde schlecht, dass die Kinder in der Schweiz mit 18 Jahren von Zuhause ausziehen. Die Familie muss zusammenbleiben bis Heiraten."
Och. Was soll ich darauf erwidern: dass ich mich insgeheim schon auf den Tag freue wenn meine Kinder dann mal ausziehen? Ich behalte meine Gedanken vorerst für mich. Ich habe Hunger und ich will das Essen nicht noch weiter hinauszögern, dadurch, dass ich ein weiteres pikantes Thema anschneide.

Die Spaghetti sind al dente. Wir setzen uns alle zu Tisch. Ich bis gespannt wie es unseren zwei Gästen schmeckt. Und siehe da: ich schneide bei unserem afghanischen Besuch wenigstens als Köchin gut ab. Danke Betty Bossi.
An den Erziehungsansichten arbeiten wir noch.
Und:

So sollte man doch öfters im Leben gelernte Rezepte überdenken, verfeinern, anpassen oder gegebenenfalls über Bord werfen. Egal ob im Kochen.
Oder im Leben.
Oder der Erziehung.

Guten Appetit.



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